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2. Abteilung für Opportunismus und günstige Angelegenheiten

Eröffnung 7 Mai – 27 Mai 2021

Die Diskurse dieser Abteilung nähern sich der Politikwissenschaft, der kolonialen Kritik und dem Kampf gegen den Extraktivismus. Der Titel birgt einen ironischen Blick gegenüber stereotypischen Bildern über die Gebiete des globalen Südens. Die sozialen Regeln dieser Länder überfordern die Konventionen und das Verständnis seitens des Westens. In vielen dieser Regionen erzeugte eine moderne Geschichte der Gewalt und des Machismo eine Kultur der Staatsputsche, die von dekadenten aristokratischen Klassen unterstützt wurden, deren Macht sich bis heute fortsetzt. Entsprechend der Geschichte und der aktuellen stereotypen Agenda gäbe es diese Länder mit billigen natürlichen Ressourcen, üppigen Landschaften, Narko-Partys und schönen Mädchen im Überfluss – ein Eldorado der Möglichkeiten, wo man mit Ausbeutung reich werden könnte wenn man es nur wollte. Die Werke und Aktionen in diesem Kapitel denunzieren Zensur, institutionelle Gewalt, Neo-Extraktivismen, die Beziehung zwischen Körper und Autorität, sowie Geschichten, die mit Blut und Eisen übereinander geschrieben wurden. Die Inhalte reflektieren über heterogene Modernitäten, in denen die Ausreifung politischer Szenarien und Ästhetiken gefördert wurde. Gleichzeitig entstanden in diesen ›anderen‹ Modernitäten neue soziale Ethosmuster, die die Unterdrückung und die Marktlogik verteidigen.

In der Konstellation der Positionen, die sich mit diesem Szenario beschäftigen, ist Risiko ein Element mit dem in den Städten performativ experimentiert wird. Dies erfolgt in einem Kontext der Agonistik der sozialen Mobilisierungen, wie es sich in Brasilien seit 2016 und in Chile seit 2019 entwickelt hat. Innerhalb dieser Abteilung kreieren Arbeiten von Cheril Linett, Matheus Rocha Pitta, Jaime Lauriano, Ana María Millán, Marylin Boror Bor, Andressa Cantergiani, Julia Mensch, Kiyoshi Yamamoto, PSJM und Daniela Ortiz eine eigene Erzählung, die durch Aktivitäten im öffentlichen Programm komplementiert wird.

PSJM

Kapitalistische Penetration im Amazonasgebiet von 1988 bis 2019

© Benjamin Renter

Wandgemälde, Farbe auf Silikat-Basis, 3,70 m x 8,20 m

In diesem Werk, welches Teil der “Social Geometry”-Serie von PSJM und ihrer “Natural History”-Subserie ist, stellen die Künstler_innen aus den kanarischen Inseln ein auf statistischen Daten basierendes Wandbild dar, wie sich die Abholzung des brasilianischen Amazonas-Regenwaldes zwischen 1988 und 2019 entwickelt hat. Das Werk verwendet zwei Farben – ein gängiger grafischer Code für Statistiken – und nutzt die symbolische Kodierung, die Grün mit Leben, Natur und dem weiblichen Geschlecht assoziiert, sowie Weiß als Abwesenheit. Auf der anderen Seite schlägt PSJM eine Lesart vor, die auf dem Titel als einem wesentlichen Diskurs basiert, um die Arbeit als solche zu konstituieren. So ist es möglich, zu einer diachronen Lesart des Werkes zu gelangen. Das heißt: zu verstehen, dass es jenseits politischer oder sogar sexueller Differenzen eine zeitliche Entwicklung einer Kollusion zwischen Staat und Privaten zur Ausbeutung des Amazonasgebiets gibt.

PSJM (Cynthia Viera (Las Palmas, Gran Canaria, 1973) und Pablo San José (Mieres, 1969)

PSJM ist ein Team für Kreation, Theorie und Management, welches von Cynthia Viera (Las Palmas G.C., 1973) und Pablo San José (Mieres, 1969) gebildet ist. PSJM präsentiert sich als “Kunstmarke” und eignet sich so die Verfahren und Strategien des fortgeschrittenen Kapitalismus an, um dessen symbolische Strukturen zu unterwandern.

Das “brand-team” wurde unter die 100 repräsentativsten Künstler der internationalen politischen Kunst in Art & Agenda: Political Art and Activism (Gestalten, Berlin, 2011) aufgenommen. Es wurde auch in Younger than Jesus aufgenommen. The essential handbook to the future of art (New York: Phaidon-New Museum, 2009) und Come Together: The Rise of Cooperative Art and Design (New York: Princeton Architectural Press N.Y., 2014), neben anderen Publikationen. Seine Arbeiten sind in zahlreichen internationalen Ausstellungen vertreten, wie Personal Structures im Rahmen der 58. Biennale Venedig (2019), Beyond the Tropics, im Rahmen der 56. Biennale Venedig (2015), Hic et Nunc, Hirshhorn Museum, Washington D.C. (2014), One Shot!, Museu Brasileiro da Escultura, São Paulo (2014), Off Street, A Foundation, London (2009), The Real Royal Trip… by the Arts, PS1-MOMA, New York (2003, in Zusammenarbeit mit El Perro und Aitor Méndez), und andere auf nationaler Ebene wie Prophetia, Fundación Miró, Barcelona (2015) oder PIGS, Artium, Vitoria (2016).

Im theoretischen Bereich sind einige seiner neuesten Veröffentlichungen zu erwähnen: Arte y procesos democráticos (TEA, Teneriffa, 2017), Fuego amigo (CENDEAC, Murcia, 2015) oder der Artikel “Marcuse y el lema de la CIA” in Revista de Occidente (Madrid, 2016). Zu seinen Arbeiten im Kulturmanagement gehören die Kuratorie vom Es personal (Gabinete Literario, Las Palmas GC, 2019), Biotopías (Gabinete Literario, Las Palmas GC, 2018), Arte y Participación Ciudadana (Las Palmas G.C., 2016) oder die Koordination und das Bild von World is Work, kuratiert von José María Durán (Kwadrat, Berlin, 2010). Seine intensive Tätigkeit erstreckt sich auch auf die Didaktik, erfolgt durch eine Gastdozentur an der Washington State University oder die Sommerworkshops PSJM-Workshop am Instituto Cervantes in Berlin (2012-2015) und am Gabinete Literario de Las Palmas GC (2018-2019).

https://psjm.es/

Marilyn Boror Bor

Edicto Cambio De Nombre, 2018

© Benjamin Renter

Performance objekt

Granitplatte

2018 beantragte Marilyn Elany Boror die Änderung ihres Namens in Marilyn Elany Castillo Novella und ersetzte damit ihren indigenen Nachnamen durch den Namen von zwei der reichsten Familien Guatemalas. Dieser Akt war das Ergebnis ihrer Recherchen über die soziale Praxis der Namensänderung in Guatemala: Menschen mit indigenen Nachnamen ändern diese oft, wenn sie in große Städte ziehen, insbesondere in die Hauptstadt. Diese Praxis sei eine „Tarnung“, um Diskriminierung und Rassismus zu entgehen. Borors Namensänderung ging viral und war Gegenstand von Kontroversen in sozialen Netzwerken. Die Granitplatte, in die ihre Namensänderung eingraviert ist und die auf dem Boden liegt, ist wie ein Grabstein oder eine Gedenktafel, die die Erinnerung an ihren indigenen Nachnamen an einem Ort der Trauer lebendig hält. [Adaptiert von „This might be a place for hummingbirds“: Galerie im Körnerpark, Berlin, 16.11.19–05.02.20.] 

* Am 15. Mai wird das Kollektiv VOCES de Guatemala in Berlin die Platte in einer Prozession zwischen der nGbK und einem kollektiven Friedhof und Gemüsegarten, den das Kollektiv in Berlin-Neukölln pflegt, tragen.

Marilyn Boror Bor, Guatemala, 1984

Lebt und arbeitet in Guatemala. Die aus San Juan Sacatepequez in Guatemala stammende Maya-Kaqchikel-Künstlerin arbeitet in verschiedenen Medien wie Fotografie, Malerei, Druckgrafik, Installation und Performance. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in der Galerie im körnerpark Berlin, der Whitebox München, der Sur Gallery in Toronto, Kanada, der Galeria Muy in Mexiko, dem Museo Nacional de Arte Moderno Carlos Mérida in Guatemala, dem Museo Ixchel in Guatemala und dem Museum of Contemporary Art Santa Barbara in Kalifornien gezeigt; Instituto de las Artes de la Imagen y el Espacio Venezuela; Centro Cultural de España de Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua und Costa Rica, Centro Cultural Municipal AAI, Guatemala; Museo de Arte Contemporáneo, el Salvador; Museo de Arqueología y Etnología de Guatemala; The 9. 99 Gallery Guatemala; Nuevo Museo de Arte Contemporáneo NUMU, Guatemala unter anderem.

Gewinner des Yaxs-Stipendiums für künstlerische Forschung 2017-2018; ausgewählter Künstler zur Teilnahme an der XIX, XX und XXII Biennale der Kunst Paiz -Trans/visible-, -Ordinario-Extraordinario- und -Perdidos.En Medio.Juntos-, Guatemala 2014 und 2016 und 2021; der Biennale des Südens “Pueblos en resistencia” Caracas, Venezuela und dem Internationalen Festival der Künste FIA, Costa Rica.

Jaime Lauriano

Rassendemokratie, melting pot, Reinheit der Rassen, 2019

© Benjamin Renter

Pemba preta [Umbanda-Ritualkreide] und Dermatograph Stift auf Watte.

150 x 160 cm

Diese Serie stellt Illustrationen von Land- und Seekarten mit ihren emblematischen Szenen von Navigationen und der “Entdeckung der neuen Welt” nach. Es ist eine Schwarz-auf-Weiß-Neuinterpretation der frühen Bemühungen, das System der Kolonisierung, die Ausbeutung des Holzes und der einheimischen Arbeitskräfte, des ersten Proletariats des zukünftigen “Kontinents”, darzustellen. Die Klebebänder, mit denen Menschen bei Lynchungen oft gefesselt wurden, bilden ein goldenes Rechteck, das auf die Ausbeutung von Land und Körpern durch koloniale Kommodifizierung verweist. Die Begriffe Rassendemokratie, Schmelztiegel und Rassenreinheit, entnommen aus Büchern, die die Geschichte Amerikas erzählen, verstärken die Gewalt dieser Illustrationen der “Erfindung des amerikanischen Kontinents”.

Jaime Lauriano. São Paulo, 1985. Lebt und arbeitet zwischen Porto/Portugal und São Paulo/Brasilien

Abschluss am Centro Universitário Belas Artes de São Paulo, 2010. 

Die Künstler untersuchen die Machtstrukturen, die in der Produktion von Geschichte enthalten sind. In audiovisuellen Stücken, Objekten und kritischen Texten zeigt er auf, wie gewalttätige Beziehungen zwischen Institutionen der Regierungsführung und der staatlichen Kontrolle – wie Polizei, Gefängnisse, Botschaften, Grenzen – und den Subjekten Gesellschaften formen. So bringt sein Werk historische Traumata an die Oberfläche, die der Vergangenheit zugeschrieben werden, und schlägt eine kollektive Revision und Neuformulierung der Geschichte vor. 

Aktuelle Einzelausstellungen: Marcas, Fundação Joaquim Nabuco, Recife, Brasilien, 2018; Ao Norte do Rio, Sesc Santana, São Paulo, Brasilien, 2018; Brinquedo de purar moletom, MAC Niterói, Rio de Janeiro, Brasilien, 2018; Assentamento, Galeria Leme, São Paulo, Brasilien, 2019; Nessa terra, em se plantando, tudo dá, Centro Cultural Banco do Brasil, Rio de Janeiro, Brasilien, 2015; Autorretrato em Branco sobre Preto, Galeria Leme, São Paulo, Brasilien, 2015; ausgewählte Gruppenausstellungen: Shuttle, Centro Cultural Banco do Brasil, São Paulo, Brasilien, 2019; The Fall of the Sky, CAIXA Cultural Brasília, Brasília, Brasilien, 2019; Quem não luta tá morto – arte democracia utopia, Museu de Arte do Rio, Rio de Janeiro, Brasilien, 2018; Afro-Atlantic Stories, MASP and Instituto Tomie Ohtake, São Paulo, Brasilien, 2018; The World’s Game: Fútbol and Contemporary Art, Pérez Art Museum Miami, Miami, USA, 2018; 11th Mercosur Biennial of Visual Arts, Triângulo do Atlântico, Porto Alegre, Brasilien, 2018; Contemporary Art Festival Sesc_Videobrasil, São Paulo, Brasilien, 2017; Metrópole: Paulistana Experience, Estação Pinacoteca, São Paulo, Brasilien, 2017; WELT KOMPAKT? , frei_raum Q21, Wien, Österreich, 2017; How to Remain Silent, A4 Arts Foundation, Kapstadt, Südafrika, 2017. 

Öffentliche Sammlungen: MAC Niterói, Niterói, Rio de Janeiro, Brasilien; MAR – Museu de Arte do Rio, Rio de Janeiro, Brasilien; MASP – Museu de Arte de São Paulo, São Paulo, Brasilien; Casa das Onze Janelas Museum, Belem, Pará, Brasilien; Pinacoteca do Estado de São Paulo, São Paulo, Brasilien und Schoepflin Stiftung: Die Sammlung, Lörrach, Deutschland. 

http://jaimelauriano.com/

Daniela Ortiz

Der weisse Prinz, 2019

Handbuch zum Bestehen des Integrationstests für die spanische Gesellschaft, 2015

© Benjamin Renter

Malbuch

Publikation

Daniela Ortiz ist eine Künstlerin und Aktivistin. Sie entwickelt visuelle Erzählungen, in denen die Konzepte von Nationalität, Rassifizierung, sozialer Klasse und Geschlecht kritisch aufgefasst werden, um koloniale, kapitalistische und patriarchale Herrschaftsverhältnisse zu analysieren. Ihre Projekte befassen sich mit dem europäischen Einwanderungskontrollsystem, seiner Verbindung zum Kolonialismus und den rechtlichen Mechanismen der europäischen Institutionen, die Gewalt gegen Migrant_innen und rassifizierte Bevölkerungsgruppen ausüben. “El príncipe blanco y la resistencia del pueblo cercano” (Der weiße Prinz und der Widerstand des Volkes) erzählt die Geschichte eines weißen Prinzen, der versucht, die Bevölkerung von Abya Yala (Amerika in der Kuna-Sprache) durch die Ausbeutung von Gold zu beherrschen und dessen Macht durch den Widerstand eines Volkes des Landes gestürzt wird; während ihr Handbuch zum Bestehen des Integrationstests darauf abzielt, Informationen zu liefern, um Teil der spanischen Staatsbürgerschaft zu werden, und zwar aus einem kritischen Blickwinkel auf die koloniale Konstruktion der nationalen Identität und die Bedingungen, welche den Migrant_innen auferlegt werden.

Daniela Ortiz / Cuzco, 1985

Daniela Ortiz de Zevallos Pastor ist eine Künstlerin peruanischer Herkunft, die an der Pontificia Universidad Católica del Perú und an der Fakultät für Schöne Künste der Universität Barcelona ausgebildet wurde und bei Claudia Cuzzi Malerei studierte. Sie lebt seit 2007 in Barcelona und kehrte 2020 nach Peru zurück, nachdem sie im Internet Drohungen und fremdenfeindliche Angriffe erhalten hatte. Sie hat ihre Projekte auf Festivals und in Einzel- und Gruppenausstellungen in Spanien, Peru und Los Angeles ausgestellt. Sie hat an Seminaren, Workshops und Meisterkursen mit Paul B. Preciado, Rogelio López Cuenca, Santiago Sierra, Rirkrit Tiravanija, Martí Peran, Josep Maria Martí, Raimond Chaves, Alberto López Bargados, Yoshua Okon, Natalia Iguiñiz und Marcelo Expósito teilgenommen. Sie hat auch in Projekten mit anderen Künstlern zusammengearbeitet, wie z. B. mit Cecilia Podestá oder Guillermo Castrillón, die beide 2005 zusammenarbeiteten.

http://daniela-ortiz.com/

Julia Weist & Nestor Siré

ARCA [extra], 2018

Installation view © Benjamin Renter

Verzeichnis der Dateien zum Herunterladen

4,99 GB

Digital

ARCA [Extra] ist ein herunterladbares digitales Verzeichnis von Dateien, das von der US-amerikanischen Künstlerin Julia Weist und dem kubanischen Künstler Nestor Siré bei der Erforschung einer kreativen sozialen Strategie erstellt wurde, die in Kuba in Abwesenheit einer Internetverbindung entwickelt wurde: El Paquete Semanal (Das wöchentliche Paket). Dieses kulturelle Phänomen sorgt für eine wöchentliche Sammlung von 1 TB digitalen Medien im ganzen Land, die in Kisten mit Festplatten von Stadt zu Stadt transportiert werden. Die Verteilung dieser Offline-Inhalte, größtenteils Unterhaltungsmaterial, wobei Pornografie und Politik strikt ausgeschlossen sind, hat ihre Wurzeln in Kubas klandestinen Systemen, die bis in die 1970er Jahre zurückreichen. Seit den späten 2000er Jahren hat sich daraus eine Industrie entwickelt, die fast jeden kubanischen Bürger erreicht. Ein kompletter Download der wöchentlichen Paquete kostet typischerweise zwei CUC (ca. zwei USD), was sie zu einem relativen Luxus macht, obwohl sie für die meisten Kubaner erschwinglich ist.

Obwohl das digitale Kopiersystem technisch gesehen illegal ist, wird es stillschweigend durch die Nicht-Durchsetzung seitens der Regierung erlaubt. Dieser “Schmuggel(handel)” von Informationen von Person zu Person ist ein dezentralisiertes Phänomen, das nicht von einer hierarchischen Struktur abhängt, sondern von den Kunden. Jede Person kann sich das Paket wieder aneignen und neu anpassen, es mit einem Logo versehen und weiterverkaufen, als ob es sich um ein Creative Commons handeln würde. Damit wird eine user generated Ökonomie skizziert, die unendliche Möglichkeiten eröffnet, wenn es darum geht, dass jede Stadt ein Gewicht in Bezug auf ihre eigene Struktur der Inhaltsverteilung hat. Dies wiederum führt zur Entstehung anderer mikrokultureller Phänomene durch Gemeinschaften, wie die Packetubers, Teenager, die Videos über die Paquete teilen und SMS und Anrufe nutzen, um ihre Anhänger zu kontaktieren, und so die Interaktivität des Internets in den kubanischen Offline-Zustand übersetzen. 

Die Arbeit von Weist und Siré funktioniert wie eine Zeitkapsel, die diese ephemeren Inhalte und Mikrophänomene in diesem Arbeitsgerät sammelt, das aus sechs Ordnern mit Dateien besteht, die die Besucher des Museums der Demokratie von einem Computer aus konsultieren und kopieren können, der auf der Plaza del Kiosco unter der Aufforderung “se llenan memorias” (Erinnerungen werden gefüllt) installiert ist; sie ahmt die Interaktivität der Verteilungspunkte des wöchentlichen Pakets auf der Insel nach. 

Index der Kategorien in ARCA [extra] 

  1. Originalinhalte: eine komplette Sammlung von Originalinhalten, die in Kuba für das paquete erstellt wurden, einschließlich digitaler Magazine, Anzeigen und Shows, die sich mit Unterhaltung, Sport, Promi-Klatsch und lokaler Kultur beschäftigen. 
  2. 2. Matrices (Matrixen): ein Archiv der Werbelogos kubanischer Verleiher oder Matrixen, von VHS-Verleihern der 1980er Jahre über DVD-Anbieter bis hin zu den Studios von el Paquete Semanal
  3. !!!A R T Section: ein komplettes Archiv der Künstlerprojekte, die in !!!Sección A R T E präsentiert wurden, einem Projekt von Siré, zeitgenössische Kunst in einem gleichnamigen Ordner als Teil des Paquete zu verbreiten 
  4. El Paquete Semanal (nationales Archiv): eine Sammlung von Inhalten und Screenshots, die die Architektur der Ordner jedes Sub-Matriz, oder regionalen Verteilers, in Kuba dokumentiert. 
  5. Fotosammlung: eine Sammlung hochwertiger Bilder zum Paquete Semanal, darunter Fotos der PCs, die von den Matrizen verwendet werden, und von Kisten, die von Hand gebaut werden, um Festplatten von einer Stadt zur anderen zu transportieren.
  6. ARCA [Extra] Museo de la Democracia: ein Ordner mit Inhalten, die exklusiv für diese Ausstellung zusammengestellt wurden, einschließlich Forschungsartikeln, die sich auf die Werke in der temporären Sammlung des Museums beziehen, frei von Copyright.

Infomercial, 2017

Einkanaliges Video mit Ton, geloopt in Englisch und Spanisch.

Teaser 3:35 Minuten (Englisch) / Volle Spielzeit 16:48 Minuten (Englisch), 19:32 Minuten (Spanisch)

Produziert in Zusammenarbeit mit ETRES

ETRES ist Kubas erste Werbeagentur seit der kubanischen Revolution im Jahr 1959, und die Plattform für ihre Arbeit ist El Paquete Semanal. Weist und Siré beauftragten sie, einen Motion-Graphics-“Infomercial” zu erstellen, der die historischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen illustriert, die zu El Paquete führten. Die Wurzeln des Systems reichen bis in die 1970er Jahre, als sich nach mehr als 10 Jahren vollständiger staatlicher Kontrolle der Medien eine unterirdische Romanverleih-Industrie entwickelte, die ein nationales Tauschnetz voraussetzte. Dieses Netzwerk entwickelte sich, um neue Medien zu verbreiten: VHS-Kassetten, beginnend in den späten 1990er Jahren, und DVDs gegen Mitte der 2000er Jahre. Schließlich nutzte El Paquete Semanal die zunehmende Präsenz von Satelliten-TV-Antennen, um auf raubkopierte Medien zuzugreifen, die Verfügbarkeit persönlicher elektronischer Geräte und das Aufkommen einer kleinen Anzahl institutioneller Internetanschlüsse. Während das digitale Kopiersystem technisch illegal ist, wird es stillschweigend durch die Nicht-Durchsetzung seitens der Regierung erlaubt.

Ein vollständiger Download von El Paquete Semanal (das Wochenpaket) kostet normalerweise 2 CUC (ca. 2 Dollar), was es zu einem relativen Luxus macht, der jedoch für die meisten Kubaner erschwinglich ist.

Julia Weist / New York, 1984 & Nestor Siré / Nuevitas, Cuba, 1988

Die amerikanische Künstlerin Julia Weist und der kubanische Künstler Nestor Siré arbeiten seit 2016 zusammen. Ihre Arbeiten wurden kürzlich unter anderem im Queens Museum (New York), der Gwangju Biennale (Gwangju, Südkorea), dem Hong-Gah Museum (Taipeh) und der Galería MPA (Madrid) ausgestellt. Sie schrieben über ihre Zusammenarbeit für Publikationen wie Frieze, Rhizome und Triple Canopy und hielten Vorträge an Orten wie The New Museum, Williams College Museum of Art, The MIT Open Documentary Lab und Art Basel Miami. Sie wurden mit einem Jerome Foundation Fellowship, einem Camargo Foundation Fellowship und einem Media Arts Assistance Fund Grant des Staates New York ausgezeichnet.

Web Julia Weist: http://work.deaccession.org/ 
Web Nestor Siré: http://www.nestorsire.com

Gustavo Artigas

Sin Título, 2003

© Gustavo Artigas, 2003

 Ortsspezifische Intervention

Geschichtsmuseum Panama-Stadt 

Video, 02‘44‘‘

Das Werk wurde vom mexikanischen Künstler Gustavo Artigas in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr der Hauptstadt Panamas realisiert. Die Intervention bestand darin,  das Rathaus mit Rauch zu füllen. Das Rathaus beherberg tdas wenig bekannte historische Museum (Museo de Historia), zu dessen Sammlung die Unabhängigkeitsurkunde des mittelamerikanischen Landes gehört. Die Reaktionen der Passant_innen reichten von völliger Gleichgültigkeit bis hin zu Schluchzen und Schreien. Ihre Reaktionen beruhten auf ihrem kulturellen Gedächtnis, d.h. Erinnerungen an ähnliche Ereignisse, die sich an mehreren Orten und mehrfach in der Geschichte von Panama-Stadt, die 1519 gegründet wurde und jahrhundertelang einer der wichtigsten Häfen für Europa und Amerika war, zugetragen hatten.

Gustavo Artigas. Mexico City, Mexico, 1970

In den letzten 25 Jahren hat Artigas mit verschiedenen Medien und Modalitäten der visuellen Kunst experimentiert, wie z.B. Sound Art, Site Specific Installationen, Performance Art, Relationale Arbeiten, pädagogische Plattformen, Lichtstücke und Malerei. Einige der erkennbarsten Einige der erkennbarsten Arbeiten von Artigas beziehen sich auf ludische Strukturen in Katastrophensituationen. Seine Arbeit steht im Dialog mit einer Vielzahl von Themen, von politischen bis hin zu sozialen Identitäten. Er wurde Teil der boomenden Gruppe zeitgenössischer mexikanischer Künstler, die in den 90er Jahren aufkamen und einen wichtigen Einfluss auf die internationale Kunstszene ausübten. Als Teil seiner Praxis leitet er spezialisierte Kreativitätsworkshops in Ländern wie Kanada, Argentinien, Panama, Frankreich, Spanien, Finnland und Mexiko. Von 2010 bis 2018 war er Professor für zeitgenössische Kunst an der Escuela Nacional de Pintura Escultura y Grabado La Esmeralda en la Ciudad de México. Seit 2018 leitet er gemeinsam mit der Kunstvermittlerin und pädagogischen Kuratorin Muna Cann die Initiative für zeitgenössische Kunst Art Links Inc. mit Sitz in Kanada. Einige Kollaborationen umfassen das MOCA Museum of Contemporary Art Toronto, TheSite Magazine und YYZ Artist Outlet.

Ana María Millán

Elevación, 2019

Animation

Farbe, Ton, Vierkanalvideo

00:10’12”

Elevación” (2019) ist ein kollektives Projekt mit einer Gruppe Künstler_innen im Museum für Moderne Kunst Bogotá (MAMBO), das sich mit dem Ursprungsmythos der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) beschäftigt. Die Beteiligten orientieren sich dabei an den Erzählstrategien eines Comics der Bewegung namens „Marquetalia, Raíces de la Resistencia“ (Marquetalia, Wurzeln des Widerstands). Der Comic erzählt auf einfache Weise und anhand von Schlüsselfiguren, wie eine Gruppe von militanten Kommunist_innenen und Liberalen während des historischen Prozesses, der als „La violencia“ (1948 – 1958) bekannt ist, aus dem öffentlichen Leben vertrieben wird. Auslöser dafür war der Mord am sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliecer Gaitán und die daraus resultierenden sozialen Aufstände des „Bogotazo“ im Jahr 1948. Während der Diktatur von General Gustavo Rojas Pinilla (1953–1957) verbot die kolumbianische Verfassung 1954 die Militanz beim und die Zusammenarbeit mit dem internationalen Kommunismus. Aktive Kommunist_innenen und Liberale zogen sich in die Stadt Marquetalia im Departement Tolima zurück, einer bergigen Gegend in Zentralkolumbien. Sie gehören zu den ersten historischen Vorläufer_innen der Bewegung, die später als Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee (FARC-EP) bekannt wurde, und waren relevante Akteur_innen in dem bewaffneten Konflikt, der bis 2016 andauerte. Derzeit gibt es ein Friedensabkommen und die ehemalige FARC-EP ist eine legale politische Partei: COMUNES.

„Elevation“ ist ein Rollenspiel als 3D-Animation, eine Kontaktzone, um die affektiven, sozialen und kulturellen Erinnerungen einer Gesellschaft nach dem Trauma neu zu verhandeln und neu zu formulieren. Die Künstlerin schafft eine Welt, die ihre  eigenen Regeln hat, und die Teilnehmer_innen entwickeln Avatare mit übernatürlichen Kräften und inszenieren Ereignisse neu, formulieren alternative Ausgänge und andere mögliche Gegenwarts- und Zukunftsszenarien. Das Kunstwerk fördert auch den Austausch zwischen Influencer_innen und Subkulturen des Netzes auf technologischer, kultureller und kommunikativer Ebene, um eine Erfahrung der Versöhnung und der sozialen Neuvorstellung zu erzeugen.

Ana Maria Millán. Cali, Kolumbien, 1975

Lebt und arbeitet in Berlin.

http://anamariamillan.info/

Matheus Rocha Pitta

Eye for an Eye, 2019

Foto Benjamin Renter

Eisen, Zement, Papier, LED-Licht

Variable Abmessungen

Dieses Kunstwerk stellt eine Auseinandersetzung mit sozialer Gerechtigkeit dar. Bei der jüngsten Protestwelle in Chile im Jahr 2019 haben mehr als 400 Menschen ein oder beide Augen verloren, was durch absichtlich von der Polizei abgefeuerte Gummigeschosse verursacht wurde. Einer dieser erblindeten Demonstrant_inen sagte in einem Interview: „Was wir verloren haben und was wir gegeben haben, war nicht umsonst“. Die Skulptur, die Rocha Pitta angefertigt hat, ist ein gigantisches, kollektives Auge, welches an die Stelle dieser verlorenen Augen treten soll. Auge um Auge, Zahn um Zahn.  Wie sehr haben unsere Vorstellungen von Gerechtigkeit mit Sichtbarkeit zu tun? Oder anders gesagt, warum muss Gerechtigkeit blind sein, um gerecht zu sein?

Matheus Rocha Pitta. Tiradentes, Brasilien, 1980.

Lebt und arbeitet in Berlin und Rio de Janeiro. Studierte Geschichte und Philosophie an der Universidade Federal Fluminense, Niteról, und der Universität des Bundesstaates Rio de Janeiro in Rio de Janeiro. Seine Arbeiten wurden international in Einzel- und Gruppenausstellungen präsentiert, unter anderem im Kunstverein Hamburg, Deutschland, 2020; Museu de Arte Moderna in Rio de Janeiro, 2018, Triennial Frestas, São Paulo, Brasilien, 2017; El Ranchito, Matadero Madrid, España 2014; The Great Acceleration, 9 Bienal de Taipei, Taipei, Taiwan 2014; Artesur, Collective Fictions, Nouvelles Vagues, Palais de Tokyo, París, Francia, 2013 y Kunst Im Tunnel, Düsseldorf, Alemania, 2013. Er war Stipendiat am Künstlerhaus Bethanien, Berlin (2016-17). Er ist u.a. in den Sammlungen des Castelo de Rivoli, Turin, und des Museu de Arte Moderna in Bahia, Rio de Janeiro und São Paulo vertreten.

Andressa Cantergiani

Kampf, 2018

Performancedokumentation

6 Fotografien

30 cm × 40 cm

In einem weißen Overall verbrachte die Künstlerin acht Tage im Museo Militar del Comando Sur (MCCC) in Porto Alegre in Brasilien und setzte ihren Körper Panzern, Kampfwagen und Kanonen aus der Sammlung der Streitkräfte aus, um störende Verbindungen zu diesen Symbolen der Männlichkeit herzustellen. Inspiriert durch das intersektionale feministische Konzept der Schwesternschaft entstand ein kontrapunktisches Experiment in Zusammenarbeit mit acht Frauen, die der Künstlerin täglich Überlebenskits mitbrachten. Jeden Tag entspand eine poetisch-politische Sammlung, deren Grundausstattung aus warmer Kleidung und Essen bestand. Die Zahl Acht steht in Beziehung zu globalen feministischen Bewegungen wie 8M, Women’s March, MeToo, Ni una menos, 8A, #ELENÃO [der nicht] und anderen Bewegungen des politischen Kampfes für gesellschaftlich unterdrückte Minderheiten.

Andressa Cantergiani. Caxias do Sul, Brasilien, 1980

Bildende Künstlerin und Performerin, Mutter und Aktivistin. Lebt zwischen Berlin, DE und Porto Alegre, BR. Doktorandin in Bildender Kunst an der PPGAV-UFRGS und Forschungsstipendiatin an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst – Hoschulle Hannover – Deutschland. MA in Kommunikation und Semiotik an der PUC/SP. Hochschulabschluss in Darstellender Kunst an der DAD/UFRGS. Künstlerin vertreten durch Mamute Gallery, Porto Alegre-Brasilien. Leiterin der BRONZE Residenz und der Peninsula Galerie in Porto Alegre. Sie hat Residenzen, Projekte und Ausstellungen in verschiedenen Räumen auf der ganzen Welt durchgeführt, wie Fundação Iberê Camargo, Brasilien, Museum für zeitgenössische Kunst, MAC, Porto Alegre; Museum für zeitgenössische Kunst Bispo do Rosário, Rio de Janeiro, BR; Terra Una Residency, Minas Gerais, BR; Insurgencias, Berlin/DE, Despina/RJ. Ihre Werke befinden sich in privaten und öffentlichen Sammlungen wie dem Museum of Art of Rio Grande do Sul, Porto Alegre.

Cheril Linett

Yeguada Latinoamericana, 2020

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Estado-de-Rebeldia-II-por-Cheril-Linett.-Fotografia-por-Lorna-Remmele-1-1024x683.jpg
Cheril Linett, 2020

Impresión digital en PVC / Digital Print on PVC / Digitaldruck auf PVC

200 cm × 300 cm

YEGUADA LATINOAMERICANA ist ein von der Künstlerin Cheril Linett geschaffenes und geleitetes Performance-Projekt, bei dem Frauen und sexuelle Dissident*innen eingeladen sind, sich zu beteiligen. An nationalen Feiertagen platzieren sie ihre Körper auf Straßen und öffentlichen Plätzen, um klassistische, patriarchale, koloniale und speziesistische Regime lächerlich zu machen und infrage zu stellen. Das Projekt wird von einer festen Performance- und Direct-Action-Gruppe entwickelt und verfolgt eine artenübergreifende Ästhetik und eine Ästhetik der Trauer. Beide finden im öffentlichen Raum statt und benutzen die Vorgehensweisen der staatlichen Ordnungskräfte für ihre Zwecke, indem sie in der Gegenwart Bilder und Situationen komponieren, die von der Yeguada Latinoamericana (der Herde) aktiviert werden.

Cheril Linett. Santiago de Chile, 1988

Performancekünstlerin und Theaterwissenschaftlerin. Autor des Performance-Projekts Yeguada Latinoamericana. Sie hat einen Abschluss in Theater und die Spezialisierung in Performancekunst der Universidad Academia de Humanismo Cristiano in Santiago de Chile. Sie begann ihre künstlerische Karriere 2015 mit der Teilnahme an Treffen, Festivals und vor allem mit eigenständigen Auftritten im öffentlichen Raum. Bis heute hat sie zahlreiche Werke realisiert und inszeniert, die in Performanceserien wie Coreografía de succión, Poética de las Aguas, Vertiente Fúnebre und Casa zusammengefasst sind. Derzeit ist sie Stipendiatin des Bühnenregieprogramms FITAM – Goethe-Institut Chile in Santiago de Chile.